Rückschlag / MDK / Richterin

 

Alles schien bergauf zu gehen, die Arzttermine waren positiv, die Therapien ebenfalls, bis an dem Tag, Ende Januar 2019, als Mone von Ihrem Spaziergang mit den Hunden nicht zurückkehrte. 

 

Plötzlich stand jemand im Garten und schrie mir hektisch von weitem zu. Ich konnte kein Wort verstehen, für mich fühlte es sich an wie Gewitter im Kopf und ich spürte nur, dass es nichts Gutes sein kann. Wir gingen nach vorne, da saß Mone auf dem Beifahrersitz, ich heulte Rotz und Wasser, weil ich überhaupt nicht wusste was los ist.

Die Hunde waren im Kofferraum und wurden als erstes ins Haus gebracht.

Mone erklärte mir in aller Ruhe, sie war gestürzt und hat sich vermutlich das Bein gebrochen. Ich sah in ihrem Gesicht, dass sie starke Schmerzen hatte, aber sie versuchte in dem Moment die Fassung zu halten. Ich kann mich an nichts mehr richtig erinnern, weil alles zu viel auf einmal war und in diesem Moment macht mein Kopf dann auch zu. 

 

Vom Krankenhaus aus rief Mone einige Leute an und bat darum, nach mir zu schauen und mir zu erklären was nun los ist. 

Leider hatte Mone sich ihr rechtes Sprunggelenk so stark zertrümmert, dass sie im Krankenhaus bleiben und mindestens zweimal operiert werden musste. 

Das war das absolut bescheuertste, was mir oder uns zu diesem Zeitpunkt hätte passieren können.

 

Was sollte ich jetzt machen, wie sollte ich die nächste Zeit überstehen. Da Mone mich kannte, hatte sie bewusst keinen Pflegedienst beauftragt, denn das würde mich jetzt noch mehr durcheinander bringen.

Sie hoffte auf Freunde oder Familie, die für diese Zeit irgendwie im Wechsel für mich da sein können oder zumindest so häufig wie es geht, damit ich diese Zeit so gut wie möglich überstehe. 

Man fragte mich auch, ob hier jemand schlafen sollte.

Eigentlich hätte ich tatsächlich nicht alleine sein können oder dürfen, auch wenn ich körperlich schon wieder gut aussah, in meinem Kopf war lange nicht alles gut und funktionierte auch nur unter hohem enormen Stress so, wie es nach außen hin schien. Trotzdem verneinte ich diese Frage, obwohl ich wusste, dass es für mich der blanke Horror wird, nachts alleine zu sein. Ich wollte diese Aufgabe von niemandem verlangen. Entweder jemand machte es ohne mich zu fragen oder eben nicht.

 

Auch wenn sich 2 Wochen nicht lange anhören, für mich waren es die schlimmsten 2 Wochen in der ganzen Zeit. Um es irgendwie zu erklären, für mich war Mone mein "Gehirn", alles funktionierte bis dato so positiv, weil Sie mich 24/7 begleitete. 

 

In der ersten Woche wollte ich auch nicht zu den Therapien, weil ich ja nun hier zu Hause alles alleine machen musste, und das war eine riesengroße Verantwortung und Herausforderung für mich.

Für vieles war zum Glück gesorgt, die Hunde wurden Gassi geführt, es wurde für mich/uns eingekauft, ab der zweiten Woche wurde ich zu den Therapien gefahren, ich hatte jeden Tag zu essen und es wurde geschaut, das ich meine Tabletten nehme. Dafür bin ich oder sind wir natürlich mega dankbar, keine Frage. Nur die restlichen 22 Stunden war ich auf mich alleine gestellt. Heute rückblickend echt irre, dass ich diese Zeit alleine geschafft habe, ich würde sagen, es ist auch eine große Portion Glück dabei, dass alles ohne Komplikationen gut ging. Eigentlich hätte das alles so nicht sein dürfen. 

 

Tagsüber habe ich jede Handlung, die ich tätigte mehrfach kontrolliert, weil ich Angst hatte, ich hätte etwas vergessen. Es wurde mir im Wechsel abends essen gebracht, manchmal musste ich bis spät in den Abend warten, obwohl ich mich vor Erschöpfung kaum noch wach halten konnte. Ich stand in diesen 2 Wochen unter einem so enormen Druck, das kann sich ein Nicht-Betroffener gar nicht vorstellen. Ich hatte jeden Tag das Gefühl, mir würde der Kopf platzen.

Ich hatte jeden Tag per Telefon Kontakt zu Mone, sie hörte natürlich raus, dass es mir beschissen ging, versuchte mich aber immer wieder irgendwie zu motivieren.

Von denen, die sich kümmerten wurde immer erzählt, es ginge mir gut und es wäre vielleicht auch positiv, so würde ich besser lernen, wieder selbständiger zu werden.

Ohne dass es ein Vorwurf sein soll, aber bei solchen Aussagen brauchte man nicht mehr viel sagen, es zeigte einem nur wiedermal eindeutig, dass niemand verstand, wie krank ich eigentlich war. 

Auch wenn ich in dieser Zeit viel alleine hinbekommen habe und es für Außenstehende so aussah als wäre es ein leichtes gewesen für mich, so war es leider nicht. Gesundheitlich hat es mir überhaupt nicht gut getan und ich bin dankbar, dass ich durch diesen Stress in dieser Zeit keinen Zusammenbruch oder schlimmeres hatte.

 

Was für mich ebenfalls schlimm war, der Besuch bei Mone im Krankenhaus. Sie hatte es sich vor der zweiten OP unbedingt gewünscht, ich bin auch mit zu ihr, aber auch das war für mich schlimm. Als ich das Krankenhaus betrat, hatte ich das Gefühl ich bekomme keine Luft mehr. Dieser Geruch erinnerte mich sofort an die furchtbare Zeit und ich hatte Angst, man würde mich vielleicht auch dort behalten. Ich war froh als ich da wieder raus war.

 

Als Mone endlich zu Hause war, hatte ich zwar immer noch diese Arbeit, die ich alleine machen musste, aber ich wusste, wenn ich ins Haus ging, war da jemand, ich hatte immer einen Ansprechpartner und jemand der auf mich schaute, das machte alles so viel leichter. Sie durfte  5 Wochen nur im Rollstuhl durchs Haus fahren oder mit Krücken gehen und dabei ihren Fuß nicht belasten, aber Hauptsache sie war wieder zu Hause und ich war nicht mehr alleine tagsüber und nachts,  das war für mich das aller wichtigste. Mein "Gehirn" war wieder zu Hause !

 

Unser Terminkalender war nun noch voller als zuvor. Ich hatte meine Therapien (und zusätzlich alles was hier zu Hause zu machen war) und Mone musste alle zwei Tage zum Verbandswechsel. Wir versuchten alles so gut wie es ging zu verbinden, damit wir die lieben Menschen, die in dieser Zeit den Fahrdienst für uns machten so wenig wie möglich in Anspruch nehmen mussten. 

 

Um mich zumindest im Haushalt zu entlasten, hüpfte Mone oftmals mit einem Bein durchs Haus, wo ich schon immer sagte, hör auf damit, nicht das noch was passiert. Tja, das hatte ich ja nicht mal ausgesprochen, da hüpfte sie gegen eine Türschwelle und flog so bescheuert, dass sie sich dabei die Hand so stark prellte, dass sie einen Gips bekam. 

 

Genau zu diesem Zeitpunkt, ein Tag später, hatte sich der MDK angemeldet, um den Grad der Pflege zu beurteilen.

Es war an einem Donnerstag, ich hatte morgens Logopädie. Ich wurde von einer Bekannten gefahren. 

Die Dame vom MDK war bereits da und hatte sich mit Mone unterhalten und war schon davon ergriffen, wie Mone ihr die Tür öffnete, im Rollstuhl sitzend, Fuß und Arm lädiert, auch ihr sah man den Scheiß der letzten Wochen an. Die meisten Fragen und Umstände hatte Mone bereits mit der lieben Dame geklärt.

Nun kam ich rein, begleitet von meiner Fahrerin. An diesem Tag lief es auch bei der Logopädie nicht gut und ich war im allgemeinen durch mit allem, ich hatte keine Kraft mehr. Die Dame begrüßte mich sehr herzlich und strich mir dabei über die Wange. Ich fing furchtbar an zu weinen. Auch Mone und die Bekannte mussten weinen. Es war ein sehr emotionaler Moment und die Strapazen der letzten Wochen konnten nicht mehr unterdrückt werden. Die Dame vom MDK hatte ebenfalls Tränen in den Augen, sie stellte mir ein paar Fragen, die ich zum Teil nicht verstanden habe und dann verabschiedete sie sich auch schon wieder mit den Worten "Ich habe genug gesehen, alle Fragen sind beantwortet, ich möchte sie nicht weiter quälen Herr Schröder. Ich werde den für sie passenden Pflegegrad beantragen. " 

 

Es vergingen die Tage, der Gips vom Arm konnte zügig wieder entfernt werden, zum Glück. Nun war für mich der Tag der Tage gekommen, ich sollte das erstemal die Haare abhaben. Für andere ein schöner Termin, für mich zu diesem Zeitpunkt noch sehr mit Angst verbunden. Schließlich hatte ich diesen Schlauch im Kopf,  und die ganzen Narben. Zum Glück kannte ich die Frisörin und sie machte alles sehr vorsichtig und ich sah danach endlich mal wieder aus wie ein Mensch. 

 

Als nächstes lag dann noch ein Termin mit der Betreuungsrichterin an. Die Herrschaften kamen mit zwei Personen, diese setzten sich mit mir an den Tisch und stellten mir ganz viele Fragen. Das meiste konnte ich nicht korrekt oder gar nicht beantworten. Das war zu viel für mich. Danach unterhielten sie sich noch mit Mone und verabschiedeten sich wieder. Die Richterin sagte zu ihr, dass bei mir auf jeden Fall eine Betreuung notwendig sei. 

Und das muss man sich jetzt echt mal reinziehen, eine Richterin beschließt, dass ich einen gesetzlichen Betreuer benötige und zuvor war ich 2 Wochen lang fast komplett auf mich alleine gestellt. Unglaublich und es bereitet Mone und mir heute noch starke Bauchschmerzen, wenn wir darüber nachdenken. 

 

Wieder einige Zeit später bekam Mone endlich ihre Stellschraube aus dem Bein operiert, was bedeutete, dass sie ab diesem Zeitpunkt von Tag zu Tag immer mehr ihren Fuß belasten durfte. Als erstes übte sie das Autofahren, was zum Glück zeitnah funktionierte, so brauchten wir keinen Fahrdienst mehr und es musste niemand mehr für uns einkaufen. Das Laufen wurde auch Stück für Stück besser und so funktionierte das Gassigehen auch schnell wieder alleine.

 

So holten wir uns Stück für Stück unsere Privatsphäre und unsere Freiheit zurück. Es ist in jedem Fall großartig, das man Hilfe bekommt in solchen Situationen, unbezahlbar !!! Jedoch ist es auch wirklich ein großer Einschnitt in das Privatleben, man ist abhängig von anderen Menschen und das fühlt sich einfach auf Dauer Scheiße an und geht auch nicht unbedingt spurlos an einem vorbei, nicht nur für uns, auch für die Hunde wurde es Zeit, wieder einen ruhigen und gewohnten Tagesablauf zu bekommen. (Kurz erwähnt, wir haben 2 Hunde aus dem Tierheim, beide mit "Special effects" :-D, sie brauchen viel Konsequenz und Halt und vor allem klare Regeln. All dieses ist seit meinem Unfall im August 2018 viel zu kurz gekommen, weil wir uns nicht so kümmern konnten wie es notwendig gewesen wäre.)

 

Um wieder mehr Ruhe in alles zu bringen, gestalteten wir unseren Tagesablauf jetzt so, dass er für uns und auch für die Hunde am stressfreisten ist. 

 

Nach so einer Zeit weiß man wirklich zu schätzen, wie wertvoll viele Dinge sind, die man vorher schon gar nicht mehr wahrgenommen hat. 

 

So starteten wir wieder voll durch und konnten uns endlich wieder auf die wichtigen Dinge konzentrieren, die mich hoffentlich weiter voran bringen. 

 

 

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